Mein Name ist Jorinde Dröse. Ich bin Tochter, Schwester, Frau, Ehefrau, Tante, Nichte und Mutter. Ich bin weiss, cis, privilegiert, Akademikerin und Feministin.
Ich habe bis 2003 Theaterregie in Hamburg studiert, mein Diplom nicht gemacht, weil ich zu schnell in den Beruf eingestiegen bin. Bis 2016 habe ich als Regisseurin in vielen deutschen Städten gearbeitet und auf vielen Bühnen inszeniert.
Die Geburt unserer Söhne (2009 und 2013), die Unvereinbarkeit vom Familienleben mit den Anforderungen des Regie-Montage-Lebens, die Frage nach der Wertigkeit und Wichtigkeit von Passion und privater Harmonie haben mich vor die Frage gestellt, ob ich mich auf dem Totenbett wohl an die vielen Inszenierungen oder an meine Familie erinnern werde.
Daher bin ich 2016 aus dem Theater ausgestiegen, habe eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht und 3 Jahre in einer Waldkita gearbeitet. Das war eine sehr schöne Zeit mit viel interessantem Input, Begegnungen und Perspektivwechseln. Die Praxis der Pädagogik zeigte allerdings, dass der personelle Notstand der Branche und die schlechte Bezahlung dazu führt, dass die Bildungsarbeit von den heeren Absichten der Bildungsprogramme abweicht.
Nach dem intensiven Homeschooling des 1. und 2. Lockdowns wusste ich, dass ich meine Kompetenzen als Regisseurin und Pädagogin vereinen möchte und begann ich mit mir wichtigen Frauen des Theaters Gespräche zu führen. 2022 habe ich meine Arbeit als Regisseurin wieder aufgenommen.
Ich lebe mit meiner Familie in Berlin.
1976 Geburt in Hanau
1995 Abitur
1996/1997 Dramaturgiestudium
LMU München
1998-2003 Regiestudium Universität Hamburg
2002-2016 Inszenierungen am Thalia Theater Hamburg, Schauspielhaus Bochum, Schauspiel Frankfurt, Münchner Kammerspiele, Deutschen Theater Berlin, Gorki Theater Berlin, Schauspielhaus Hamburg, Toshov teatret Oslo
2009/2013 Geburt der Söhne
1976 Geburt in Hanau
1995 Abitur
1996/1997 Dramaturgiestudium
LMU München
1998-2003 Regiestudium Universität Hamburg
2002-2016 Inszenierungen am Thalia Theater Hamburg, Schauspielhaus Bochum, Schauspiel Frankfurt, Münchner Kammerspiele, Deutschen Theater Berlin, Gorki Theater Berlin, Schauspielhaus Hamburg, Toshov teatret Oslo
2009/2013 Geburt der Söhne
2016-2020 Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin und
Arbeit in einer Berliner Waldkita
2020-2022 Care-Arbeiterin
2022 Inszenierung "Das Augenlid ist ein Muskel", Autor:innentheater am DT Berlin
2023 "Billy Backe" am RambaZamba Berlin, "Die Wut, die bleibt" am Staatstheater Hannover und bei den Salzburger Festspielen
2024 geplante Arbeiten am Berliner Ensemble, an der Otto-Falckenberg-Schule München, am Schauspiel Köln, Theater Bremen und Staatstheater Hannover
nach Theodor Fontane, für die Bühne bearbeitet von Jorinde Dröse und Juliane Koepp
Thalia Theater Hamburg. Premiere 21. Mai 2005
Regie: Jorinde Dröse, Bühne: Julia Scholz, Kostüme: Barbara Drosihn, Musik: Michael Verhovec, Dramaturgie: Juliane Koepp
Mit: Paula Dombrowski, Norman Hacker, Judith Hofmann, Felix Knopp, Helmut Mooshammer, Hartmut Schories, Katrin Wichmann
KISS Empowerment
Ich hab in meinem Leben schon sehr viel Glück gehabt. Unter anderem fing das damit an, dass ich von feministischen Eltern anti-autoritär und bedürfnisorientiert erzogen worden bin.
Ich bin Jahrgang 1976 und komme aus einer hessischen Kleinstadt. Mein Vater war Rechtsanwalt und eigentlich homosexuell, meine Mutter Theaterkritikerin und politisch aktiv. Meine Eltern haben in einer Agitpop-Theater-Gruppe gespielt und prägende Ereignisse meiner Frühsozialisation waren Open-Air-Konzerte, Ostermärsche, die Großdemo bei Brokdorf, das Hüttendorf gegen den Bau der Startbahnwest und bei vielen Parteitagen und Proben unter Tischen zu sitzen oder am 08. März Nelken auf dem Marktplatz zu verteilen.
Ich weiß, wie es sich anfühlt in einer Kleinstadt aus einem unangepassten, exotisch-wahrgenommen Haushalt zu kommen und wie es sich anfühlt gegen die kleinbürgerliche Norm zu leben. Ich weiß, wie sich Solidarität, politscher Zusammenhalt und Empowerment anfühlen, denn in den 80iger Jahren waren Solidaritätsvisionen noch eine ungebrochene Kraft.
Ich bin und war immer Feministin. Und ich habe 20 Jahre in einem System gearbeitet, das zutiefst patriarchal und hierarchisch organisiert ist: Dem Theatersystem.
Heute vor 14 Jahren, am 12.05.2010, wurde im Haus der Berliner Festspiele die Ausstellung „Regie-Frauen: Ein Männerberuf in Frauenhand“ eröffnet und ich durfte Teil dieser Ausstellung sein. Das Interview, dass die Theaterwissenschaftlerin Christina Haberlik mit mir führte, ist ein wichtiges Zeitdokument für mich, weil es genau an der biografischen Schnittstelle stattfand, an der sich mein Blick auf das System schärfen sollte: Denn vor 14 Jahren war ich jung, erfolgreich, hatte keinerlei Schwierigkeiten im Beruf zu arbeiten und ich war hochschwanger.
Zwei Fragen, die Christina Haberlik mir stellte, sind mir in Erinnerung geblieben:
Was wird sich an Deiner Haltung und Arbeitssituation als Regisseurin durch die Mutterschaft verändern?
Zu gern würde ich meinen Blick und meine Reaktion meines jüngeren Ichs nochmal sehen. Ich meine mich zu erinnern, dass ich mit Erstaunen, leicht irritiert und vollkommen selbstsicher geantwortet habe: „Meine Mutterschaft und meine Haltung zu dem Beruf werden sich nicht ändern. Statt der 5 Premieren in der Spielzeit mache ich dann eben nur noch 3.“
Die andere Frage lautete:
Inwiefern siehst Du Deinen Werdegang in der Kontinuität der Frauen oder Regisseurinnen, die diesen Beruf vor dir ausgeführt und dir durch ihre Tätigkeit den Weg geebnet haben?
Frauen, die mir den Weg geebnet haben??? Ausatmer, Lippen blähen, Stirnrunzeln… Frauen, die mir den Weg geebnet haben… Nachdenken, Augen aufreissen Mir fielen keine ein.
Intendantinnen? Die waren damals selten und ich hatte mit keiner zusammengearbeitet. Und Regiekolleginnen??? Kolleginnen… Puh… Wir waren wenige Regisseurinnen im Beruf und vor allem waren wir keine Kolleginnen.
An dieser Stelle möchte ich Euch einen Textauszug aus „Musterbruch“ von Patricia Cammarata zum Schlumpfine-Prinzip zitieren:
„(Das Schlumpfine-Prinzip) umschreibt, dass es in Film und Fernsehen zahlreiche Protagonisten-Gruppen gibt, die, bis auf eine einzige Ausnahme, aus Männern bestehen. Diese Ausnahme bei den Schlümpfen ist Schlumpfine. Andere Beispiele waren in der Vergangenheit: Prinzessin Leia in Star Wars, Gabi in TKKG oder Dana Barrett bei den Ghost Busters. Es darf also Frauen geben, aber eben nur eine. (…) Daraus lässt sich ableiten: Wenn nur Platz für eine Frau ist, dann sind Frauen sich natürlich Konkurrenz. (…) Frauen sind Meisterinnen darin, die Schwachstellen anderer Frauen zu finden. Egal, was diese tatsächlich leisten. (…)“[1]
In diesem Sinn war ich mir damals sicher, dass ich alles mir selbst zu verdanken habe. Teilen, verbinden, vernetzen, supporten oder die Reflektion über das System, die eigene Rolle darin oder meine eigene internalisierte Misogynie war mir fremd. Heute blicke ich kritisch auf mein Jüngeres ICH. Mir ist bewusst, dass ich als Token gebraucht wurde (wir brauchen noch eine junge Frau im Spielplan, wen gibt’s denn da?). Ich habe mit einigen Patriarchen des Theatersystems zusammengearbeitet und ich kann im Nachhinein erkennen, wo ich mich weggeduckt habe. Ich greife nochmal zu Patricia Cammaratas „Musterbruch“:
„Das Kleinhalten von Frauen geht interessanterweise nicht nur von Männern aus, sondern es gibt auch zahlreiche Frauen, die andere Frauen im Zaum halten, sodass es nach Möglichkeit zu keiner Umverteilung der Herrschaftsverhältnisse kommt. Diese Frauen kann man Patriachatskomplizinnen oder Patriarchatshüterinnen nennen. (…) Patriachatskomplizinnen bekommen ein kleines Stück vom Kuchen ab. Sie dürfen sich über andere Frauen erheben – aber natürlich nicht über Männer. Ein kleines bisschen Anerkennung zu bekommen und auch mal etwas sagen oder bestimmen zu können, das motiviert natürlich. Überspitzt formuliert ist es eine Art Überlebensstrategie im Patriarchat sich bei den Männern anzubiedern. Es greifen also ähnliche Prinzipien wie beim Mobbing. Dort gibt es nicht nur Täter*innen und Opfer, sondern unter anderem auch die Assistent*innen und Claqueur*innen. Erstere unterstützen Täter*innen aktiv, Claqueur*innen beteiligen sich nicht aktiv, billigen das Verhalten der Täter*innen aber oder verstärken es sogar durch Lachen und applaudieren. Ohne Assistent*innen und Claqueur*innen haben es Täter*innen tatsächlich sehr viel schwerer ihre Mobbing Attacken auszuführen. (…)“[2]
Dank #Metoo, meinem Ausstieg aus dem Theatersystem, meiner pädagogischen Ausbildung und nach dem Lesen vieler Büchern von sehr klugen Frauen und der Erfahrung von Sisterhood ist meine Sicht heute eine andere.
Ich weiß, dass ich erst durch meine Mutterschaft erlebt habe, wie unvereinbar der Beruf mit dem Leben einer Familie ist und mittlerweile weiß ich auch, dass weiblich gelesene Personen, BIPoC, Menschen mit Behinderung und Nicht-Akademiker*innen benachteiligt sind. Ich weiß, dass ich durch mein Weiss-Sein privilegiert bin und Menschen mit Mehrfach-Diskriminierung im Theatersystem unterrepräsentiert sind und es auch meine Aufgabe ist, diese Menschen sichtbar zu machen. Ich weiß, dass sich viele Künstlerinnen auch heute noch die Frage „Art or Babys“ stellen. Als Künstlerin, finde ich, es muss „Art and Babys“ heißen. Es braucht Mütter in der Kunst, damit diese Perspektive und dieser Blick auf die Welt abgebildet wird. Dank Sibylle Baschung durften wir, Claude De Demo und ein Team aus Müttern, NichtMüttern, Vätern und NichtVätern das Stückprojekt #motherfuckinghood am BE auf die Bühne bringen. Diese Arbeit wäre ohne gemeinsames Empowerment und Sisterhood nicht entstanden.
Und ich weiß, dass ich ganz viel nicht weiß und lerne dazu, daher möchte ich Einblicke in die Fortbildung ‚Feminist Leadership‘ geben, die ich im letzten Jahr besucht habe:
Feminst Leadership ist nicht gleichzusetzen mit Female Leadership. Female Leadership ersetzt die männliche Führungsposition durch eine weiblich-gelesene Führungsperson, ohne die Machthierarchien in Frage zu stellen.
Was ist das gängige Narrativ von Macht, das wir internalisiert haben?
Es beschreibt einen Leader als HERO, meist männlich,
ein Decision-Maker, der/die alle Macht in sich vereint,
die Verkörperung von Charakter und Integrität.
Ein Provider von Visionen, Strategien und Missionen,
der/die andere zu Höchstleistungen motiviert und
alle Macht und Entscheidungen in sich bündelt.
Kommt Euch bekannt vor? Gerade in der Theaterlandschaft ist das ein sehr gängiges Narrativ von Macht, oder? Der GENIE-REGIE-Intendant-KULT.
Ich fasse noch mal zusammen: Patriarchale Systeme sind exkludierend, sie bauen Herrschaftsverhältnisse von Klasse und Geschlecht auf. Es ist ein Pyramiden-Denken, an dessen Spitze der weiße Mann steht, gern heterosexuell, verheiratet und christlich, mindestens aus der Mittelschicht und ohne Behinderung.
Feminist Leadership ist dagegen eine Verteilung von Macht auf einer horizontalen Ebene: partizipativ, inklusiv, empowernd und gekennzeichnet von einem Wertekanon, einer Praxis und Verhaltensweisen, die gemeinschaftlich, wertschätzend und respektvoll anderen gegenüber und gegenüber Wachstum, Ressourcen und Entwicklung sind. Die Grundlage ist das Wissen darüber, dass sich Machtausübung in drei Dimensionen zeigt: sichtbar, versteckt, unsichtbar.
Was meint sichtbar, versteckt und unsichtbar?
Sichtbare Macht zeigt sich darin, wer an der Entscheidungsfindung teilnimmt und wer davon ausgeschlossen ist.
Versteckte Macht wird auch Agenda-Setting-Macht genannt. Also wer beeinflusst die Agenda hinter den Kulissen und wessen Stimme wird gehört und wer wird zu einem bestimmten Thema konsultiert.
Unsichtbare Macht – oder indirekte Macht – meint die Einflüsse auf das Mindset von Menschen, die sozialen Einstellungen, die Vorurteile, die Menschen formen, ohne dabei offensichtlich eine Rolle zu spielen. Die Medien- und Marketing-/Werbebranche sind klassische Anbieter dieser unsichtbaren Macht. Zum Beispiel üben die Medien unsichtbare Macht aus, indem sie ständig Entscheidungen darüber treffen, welche Themen hervorgehoben und welche ignoriert werden sollen, und indem sie Bilder konstruieren und Bedeutungen nachhaltig prägen.
Feminist Leadership verfolgt zwei Ziele, um einen Wechsel der gängigen Machstrukturen zu praktizieren:
Ja, das macht Knoten und Widerstand im Kopf und wirft Fragen auf, weil es gegen all die Narrative geht, die wir tagtäglich medial konsumieren.
Kommen wir zum Theater der Zukunft: Verbunden mit all diesem Wissen, wie stelle ich mir das Theater der Zukunft denn vor?
Partizipativ, inklusiv, bildend, nachhaltig, lösungsorientiert, empowernd und divers.
Das klingt schön. ABER: Wie werden aus Absichtserklärungen, die wir inzwischen überall lesen, Handlungen ganz im Sinne des Satzes: „Practice what you preach“?
Generell gilt: Wer Transformationsprozesse ermöglicht, hat drei Stellschrauben: Das Geld- und Zeitmanagement und darüber hinaus die Transparenz von beidem.
Das Theater der Zukunft wird sich aus der Umsetzung von Veränderungen in der Gegenwart ergeben. Ich skizziere ganz kurz ein paar Ideen, die nicht neu sind, wie wir alle wissen, haben wir keinen Wissensnotstand, sondern Handlungsbedarf:
Ich beende meine Ideenskizze, denn einmal mit den Transformationsprozessen angefangen, entstehen sofort neue Handlungsaufforderungen.
Was kann jede*r einzelne heute schon tun? Seit ich wieder eingestiegen bin in das Theatersystem, agiere ich nach ein paar Merksätzen, die ich gern mit Euch teilen möchte. Und ich mache das mit einer Strategie aus dem Selbstverteidigungstraining, die nennt sich „KISS – Keep it simple, stupid“. Daher für alle, die als Graswurzelbewegung heute und morgen schon Change-Maker*innen sind, gibt es jetzt ‚keep it simple, stupid‘ – Empowerment to go!
Wo ein ICH ist, ist ein Wir – das Private ist politisch!
Es ist ein Trick von Systemen, die Menschen unterdrücken und einzelne privilegieren, bestimmte Menschen zu isolieren. Durch die Isolation wertet das Individuum strukturelle Ungleichbehandlung als individuelles Versagen oder Schuld. ABER merke: Wo ein ICH ist, ist auch ein WIR.
Rede über Geld! Gender Pay Gap, Life Earning Gap! Es wird immernoch viel zu wenig über Honorare oder Etats geredet. Aber wo zeigt sich am deutlichsten die Ungleichbehandlung? Daher redet über Geld. Und wenn Ihr viel habt, dann verteilt um!
Check your privilege! Reflektiert Eure Privilegien, fragt, wo und wie andere supportet und sichtbar gemacht werden können. Es ist die Aufgabe privilegierter Menschen für das Unrecht weniger privilegierter Menschen auf- und einzustehen.
Rede über Macht! Versuche die Dimensionen von Macht transparent zu machen. Redet über das Wissen, das nicht sichtbar, unsichtbar und versteckt ist.
Supportet Euch! Schätzt die Zeit, die Arbeit, die Liebe wert, die andere in eine Produktion stecken oder gesteckt haben. Ändert den Blick: statt Defizite zu benennen, verbalisiert das Positive. Das wirkt sich auch positiv aufs Mindset aus.
Schaff den Geniekult ab! Es gibt keine Genies. Alles, was Menschen erschaffen, ist Synergieeffekten zu verdanken. Erst die Verbindung und Vernetzung von Gedanken, Gefühlen und Erfahrung von vielen Menschen schafft neues. Einzelne hervorzuheben, ist Komplexitätsreduktion und male gaze.
Check Deine internalisierte Misogynie! Gegenüber Dir selbst und anderen gegenüber. Sei keine Patriachatskomliz*in und auch keine Claqueur*in.
Reproduziert nichts, was Ihr ablehnt! Don’t do Kanon, wenn es etwas darin gibt, was Ihr ablehnt. Reproduziert keine sexualisierte Gewalt und Rollenmuster. Seid Euch bewusst, dass Ihr sonst dazu beitragt, dass sexualisierte Gewalt normalisiert wird und Rollenmuster bewahrheitet.
Empowert andere! Es gibt nichts, was Kreativität mehr beflügelt als Empowerment!
Überrascht Euch! Gegenseitig, aber auch Euch selbst. Strukturen, Architektur, Infrastruktur, Glaubenssätze sind veränderbar. Geht unbekannte Wege, neue Konstellationen und bleibt im „try and error“- Modus und lernende!
Verbindet Euch! Es fängt damit an, einander vorzustellen, „Hallo“ zu sagen, in Kontakt und in Verbindung zu gehen und zu bleiben. Sucht die Menschen, mit denen Ihr Synergie-Effekte eingehen könnt.
Vernetzt Euch! Tretet Netzwerken bei, weil nicht jede*r muss das Rad neu erfinden, den Aufstand alleine planen und organisieren. Und feiert das „Burning Issues“-Festival!
Solidarisiert Euch! Macht Missstände sichtbar. Postet sie, erzählt sie weiter, und wenn Sprache gerade nicht geht oder ausreicht, dann stellt Euch als Körper in einem Konflikt dazu. Werdet sichtbar und macht andere sichtbar.
[1] „Musterbruch“, Patricia Cammarata, Beltz, Weinheim 2024, S. 48
[2] „Musterbruch“, Patricia Cammarata, Beltz, Weinheim 2024, S. 45
Regie: Jorinde Dröse, Ausstattung: Susanne Schuboth, Musikalische Leitung: Rainer Süßmilch, Musik: Norma Bek, Dramaturgie: Alexandra Althoff
Mit: Michael Goldberg, Mathis Reinhardt, Katharina Hackhausen, Mareike Hein, Christian Erdt, Nils Kahnwald, Sascha Nathan und Cornelius Schwalm.
Band: Karsten Süßmilch, Rainer Süßmilch und Matthias Schmidt
Geld und Wertigkeit und Kulturjournalismus und Ruhm und Preise und Marktwert und Geld
Geld ist ein Tauschobjekt. Jede*r hat das Recht eine Währung zu erfinden und wenn es Menschen gibt, die diese Währung anerkennen, dann kann damit auch gehandelt werden.
Geld hat auch einen emotionalen Wert. Wer über Geld gestritten oder schon geerbt oder eine Scheidung hinter sich hat, weiß wovon ich rede. Geld ist immer kontextbezogen viel oder wenig wert. Geld drückt den Markt- oder Markenwert aus.
Bei Künstler*innen ist Geld, also das Honorar, die Summe, die ein Kunstwerk wert ist mit der Wertigkeit des*r Künstlers*in verknüpft. Ein gemaltes Bild hat einen Materialwert, der Marktwert des Bildes hängt vom Kunstmarkt und von der Wichtigkeit der Künstlerin oder des Künstlers ab.
In meiner Branche ist es so, dass ich, als Regisseurin, meine Gage selbst verhandele. Einerseits gut, weil es in meiner Hand liegt, andererseits ist die Verhandlung ja immer die Summe von Behauptung und Bluff, Selbstbewusstsein und Selbstüberschätzung, Marktwert als Künstler*in, Gender-Pay-Gap und vom Etat des Theaters abhängig.
Ein Glück, dass das der Gender-Pay-Gap mittlerweile eine öffentliche Debatte ist. Ich hatte früher in meinen Verträgen eine Verschwiegenheitsklausel. So war es lange möglich, dass ich meine Gage schlecht in einen Kontext setzen konnte.
Interessant ist, dass ich ein anderes System der Bezahlung, als ich in Norwegen gearbeitet habe, kennengelernt durfte. Dort gibt es eine Tabelle, die das Honorar für die Inszenierung nach den getätigten Arbeiten festlegt, unabhängig von Geschlecht und Alter, und niedriger oder höher als Mindest- oder Höchstgage geht auch nicht.
Dort ist das Honorar also unabhängig vom Markt- und Markenwert.
Als selbstständige Regisseurin ist eine Gage nicht nur das Honorar für die Zeit, in der die Proben laufen, sondern schon im Vorfeld beginnt die Vorbereitung mit Stücksuche, Fassung erstellen, den Prozess des Bühnen- und Kostümbildes begleiten, Gespräche für die Besetzung führen, Bauprobe und Nachbereitung. Daher ist die Höhe einer Gage immer auf mehrere Monate anzurechnen und die Sorgfalt, in der dies geschieht, ist ein Ausdruck der Zuversicht etwas Großartiges und Tolles auf die Beine zu stellen.
Die Verhandlung läuft unabhängig von der Zusage. Also erst sage ich eine Arbeit zu und dann kommt die Verhandlung mit meist einem anderen Menschen als der Intendanz. Darin liegt die erste Scharnierschraube der Macht. Denn bei Konflikten wird es schnell intransparent und oft treten emotionale Verstrickungen auf. War das Anwerbungsgespräch ein Gespräch auf Augenhöhe, offenbart sich im Gespräch über das Geld/Honorar die Einschätzung des Geldgebers (ich gendere hier bewusst nicht, weil mir keine Geldgeberin bekannt ist) und bei Konflikten wird dann gern Bad und Good Cop gespielt. Zum Beispiel: ich habe eine höhere Erwartung, als mein Gegenüber, dann lautet die Standard-Ansage: „Uuuh, da muss ich nochmal Rücksprache mit der Intendanz halten.“ und dann wird der Zeitjoker gespielt, während die Arbeit am Stück schon beginnt.
Die zweite Scharnierschraube ist die Individualisierung. Das Honorar setzt sich nicht transparent zusammen und orientiert sich nicht an Erfahrung oder wieviel Care-Arbeit jemensch noch Zuhause hat oder wieviele Menschen jemensch noch versorgt. Es wird individualisiert. Du bist eine Frau, dann gibt das schon mal Abzug. Du hast schon Auszeichnungen gewonnen, bist vom Feuilleton geachtet und kommst darin vor, dann gibt’s mehr. Du bist gefragt und es gibt einen Hype um dich, dann gibt’s mehr. Du bist schon theatertreffen-geadelt, vielleicht schon mehrfach, dann bist du im Olymp angekommen und es gibt mehr. Angebot und Nachfrage, klar, kennen wir doch.
Und die Auszeichnungen und Einladungen werden von Jurys vergeben, in denen hauptsächlich Kulturjournalist*innen sind. Da war doch einer mal so nett und sagte zu mir: „Ich entscheide, wen ich hoch schreibe und wen ich fallen lasse.“ Oder ein anderer: „Warum laden Sie mich nicht ein? Warum buchen Sie mir kein Hotelzimmer und frühstücken mit mir?“
Mein Marktwert ist abhängig von Menschen, die die Macht ihres Metiers missbrauchen, die ihre Verantwortung kapitalisieren und intransparent Steuergelder verteilen. So lange es dort, wo das Geld ist und fließt, keine Transparenz gibt, kein Umdenken stattfindet, wird es keine Gleichberechtigung geben.
Hier liegt Entwicklungspotential in Deutschland, um die Gendergerechtigkeit, die Machtstrukturen transparent zu machen und das Liking / die Abhängigkeit von Intendanten oder Intendantin zu reduzieren.
Mir ist wichtig, dass alle in meinem Team das Gleiche verdienen. Es gibt nämlich noch so ein Ranking in der Bezahlung: Ein*e Regisseur*in verdient mehr als ein*e Bühnenbildner*in, der*die mehr verdient als der*die Kostümbildner*in, der*die mehr verdient als der*die Musiker*in/Videodesigner*in.
Ich habe mir vorgenommen: Ich arbeite dort, wo ich mich emotional verbinden kann und auf Menschen treffe, die ähnliche Werte, Ideale und Themen haben. Mir ist es egal, wie mein Marktwert ist und ich verhandele ein Gesamthonorar für mein Team und mich. Das wird dann zu gleichen Teilen geteilt. So lange das System sich nicht ändert, ändere ich, was ich beeinflussen kann!
von Mareike Fallwickl, für die Bühne bearbeitet von Jorinde Dröse und Johanna Vater
Premiere bei den Salzburger Festspielen 18.08.2023, Premiere am Staatstheater Hannover 10.09.2023
Regie: Jorinde Dröse, Bühne: Katja Hass, Kostüme: Juliane Kalkowski,
Musik: Jörg Kleemann, Chroreografie: Suzan Demircan, Dramaturgie: Johanna Vater
Mit: Johanna Bantzer, Sophie Casna, Fabian Dott, Nellie Fischer-Benson, Anja Herden, Max Landgrebe, Yasmin Mowafek, Hanh Mai Thi Tran
von Robert Wilson / Tom Waits / Kathleen Brennan nach Georg Büchner
Deutsches Theater Berlin. Premiere 02. Oktober 2009
Songs und Liedtexte von Tom Waits und Kathleen Brennan. Konzept von Robert Wilson. Textfassung von Ann-Christin Rommen und Wolfgang Wiens
Regie: Jorinde Dröse, Bühne, Kostüme: Susanne Schuboth, Musikalische Leitung: Philipp Haagen, Dramaturgie: Claus Caesar
Mit: Moritz Grove, Maren Eggert, Matthias Neukirch, Helmut Mooshammer, Christoph Franken, Thomas Schumacher, Claudia Renner, Markus Graf, Jonas Anders, Pia Händler
von Andri Beyeler
Thalia Theater / Autor:innenTheaterTage Hamburg. Premiere 21. September 2002.
Regie: Jorinde Dröse, Bühne und Kostüme: Julia Scholz, Dramaturgie: Juliane Koepp
Mit: Anna Blomeier, Silke Steffen, Jörg Kleemann, Markus Reymann, Hans Löw
Maxim Gorki Theater Berlin. Premiere 26. April 2013.
Regie: Jorinde Dröse, Musikalische Leitung: Sophia Augusta Kennedy / Carsten „Erobique“ Meyer, Ausstattung: Susanne Schuboth, Dramaturgie: Sibylle Dudek
Mit: Albrecht Abraham Schuch, Katharina Alf, Carsten „Erobique“ Meyer, Sophia Augusta Kennedy, Johann Jürgens, Lorris Andre Blazejewski
von Tino Hanekamp, für die Bühne bearbeitet von Jorinde Dröse und Nicola Bramkamp
Deutsches Schauspielhaus Hamburg. Premiere 12. Januar 2013
Regie: Jorinde Dröse, Bühne: Natascha von Steiger, Kostüm: Bettina Schürmann, Video: Stefan Bischoff, Musik: Anton Spielmann, Jonas Hinnerkort, Sebastian Muxfeldt (1000 Robota), Dramaturgie: Ebba Durstewitz, Kristina Ohmen
Mit: Marion Breckwoldt, Julischka Eichel, Glenn Goltz, Jörg Kleemann, Hanns Jörg Krumpholz, Martin Pawlowsky, Maria Magdalena Wardzinska, Martin Wißner, Sören Wunderlich
von Anja Hilling
Deutsches Theater Berlin. Premiere 6. Juni 2010
Regie: Jorinde Dröse, Bühne: Anne Ehrlich, Kostüme: Johanna Pfau, Video: Niklas Ritter, Dramaturgie: Juliane Koepp
Mit Natali Seelig, Harald Baumgartner, Helmut Mooshammer, Judith Hofmann, Bernd Moss, Moritz Grove
von Henrik Ibsen
Maxim Gorki Theater Berlin. Premiere 16. Januar 2011
Regie: Jorinde Dröse, Ausstattung: Susanne Schuboth, Musik: Roderik Vanderstraeten, Dramaturgie: Carmen Wolfram
Mit: Hilke Altefrohne, Peter Kurth, Andreas Leupold, Anja Schneider, Gunnar Teuber; Kinderdarsteller: Ole Köhler, Selma Köhler, Josie Lehmann
von Friedrich Hebbel
Maxim Gorki Theater Berlin. Premiere 07. September 2007
Regie: Jorinde Dröse, Bühne und Kostüme: Susanne Schuboth, Dramaturgie: Carmen Wolfram
Mit: Annika Baumann, Jörg Kleemann, Andreas Leupold, Julian Mehne, Ruth Reinecke, Gunnar Teuber, Wolfgang Hosfeld
von Tom Lanoye
Thalia in der Gaußstraße, Hamburg. Premiere am 14. Januar 2009
Regie: Jorinde Dröse, Bühne: Anne Ehrlich, Kostüme: Bettina Schürmann, Dramaturgie: Claus Caesar
Mit: Leila Abdullah, Christine Boehlke, Andreas Döhler, Mortiz Groove, Vincent Heppner, Judith Hofmann, Helmut Mooshammer, Alexander Simon
von Hans Fallada, für die Bühne bearbeitet von Jorinde Dröse
Maxim Gorki Theater Berlin. Premiere 05. September 2011
Regie: Jorinde Dröse, Bühne: Barbara Steiner, Kostüme: Susanne Schuboth, Dramaturgie: Carmen Wolfram
Mit: Ruth Reinecke, Andreas Leupold, Julischka Eichel, Matti Krause, Albrecht Abraham Schuch, Robert Kuchenbuch, Michael Klammer
von Aki Kaurismäki
Schauspielhaus Bochum. Premiere 24. Mai 2008
Regie: Jorinde Dröse, Bühne: Annette Haunschild, Kostüme: Bettina Schuermann, Musik: Roderik Vanderstraeten
Mit: Maja Beckmann, Claude De Demo, Henning Hartmann, Jörg Kleemann, Sascha Nathan, Alexander Maria Schmidt, Cornelius Schwalm und Roderik Vanderstraeten
von Franz Xaver Kroetz
Thalia Theater Hamburg. Premiere 10. Oktober 2006
Regie: Jorinde Dröse, Bühne: Julia Scholz, Kostüme: Bettina Schürmann, Musik: Michael Verhovec, Dramaturgie: Juliane Koepp
Mit: Harald Baumgartner, Anna Blomeier, Daniel Hoevels, Jörg Koslowski, Katrin Wichmann, Verena Reichhardt
von Henrik Ibsen
Maxim Gorki Theater Berlin. Premiere 28. September 2012
Regie: Jorinde Dröse, Bühne: Annette Riedel, Kostüme: Almut Eppinger, Musik: Philipp Haagen, Dramaturgie: Sibylle Dudek
Mit: Sabine Waibel, Julischka Eichel, Cornelius Schwalm, Ronald Kukulies, Andreas Leupold, Albrecht Abraham Schuch, Matti Krause, Philipp Haagen, Gunnar Teuber
von William Shakespeare
Thalia Theater Hamburg. Premiere 25. Februar 2006
Regie: Jorinde Dröse, Bühne: Susanne Schuboth, Kostüme: Susanne Schuboth und Bettina Schürmann, Musik: Philipp Haagen, Dramaturgie: Claus Caesar
Mit: Anna Blomeier, Paula Dombrowski, Norman Hacker, Daniel Hoevels, Jörg Kleemann, Jörg Koslowsky, Peter Maertens, Tino Mewes, Axel Olsson, Verena Reichhardt, Thomas Schmauser, Asad Schwarz-Msesilamba, Natali Seelig, Will Workmann
von Karen Duve, für die Bühne bearbeitet von Jorinde Dröse und Juliane Koepp
Thalia in der Gaußstraße, Hamburg. Premiere 09. Oktober 2004
Regie: Jorinde Dröse, Bühne, Kostüme: Julia Scholz, Video: Rainer Schwarz, Dramaturgie: Juliane Koepp
Mit: Leila Abdullah, Judith Rosmaier, Katrin Wichmann
nach Theodor Storm, Fassung von John von Düffel, Juliane Koepp und Jorinde Dröse
Thalia Theater Hamburg. Premiere 05. Januar 2008
Regie: Jorinde Dröse, Bühne: Susanne Schuboth, Kostüme: Bettina Schürmann, Musik: Michael Verhovec, Video: Oliver Helf, Dramaturgie: Juliane Koepp
Mit: Leila Abdullah, Paula Dombrowski, Harald Baumgartner, Daniel Hoevels, Peter Jordan, Ole Lagerpusch, Helmut Mooshammer, Verena Reichardt
von Alexander Stutz
Deutsches Theater/Box Berlin. Premiere 18. Juni 2022
Regie: Jorinde Dröse, Bühne: Janja Valjarević, Kostüme: Juliane Kalkowski, Musik: Jörg Kleemann, Chroreografie: Suzan Demircan, Dramaturgie: Bernd Isele
Mit: Hilke Althefrohne, Paul Grill, Leo Leupold, Niklas Wetzel
Ich habe immer viel gelesen, erst die Welt- und Theaterliteratur und während meiner Ausbildung hauptsächlich pädagogische, psychologische, rechtliche Sachtexte. Irgendwie haben mich Romane nicht mehr interessiert.
Erst mit „Why we matter“, „Die Wut, die bleibt“, „Die Erschöpfung der Frauen“, „Das Unwohlsein der modernen Mutter“ habe ich wieder zu lesen begonnen und seit ich Mareike Fallwickl folge, verschlinge ich wieder Bücher.
Ich habe festgestellt, dass ich einfach jahrelang Bücher gelesen habe, die den Blickwinkel von Cis-Männern wiedergeben und mich das nicht mehr interessiert und berührt.
„Why we matter“ von Emilia Roig hat mir die Augen geöffnet. Ich habe zum ersten Mal verstanden, dass mich die Auswahl im Buchladen nicht anspricht, weil es nicht meine Themen sind. Dass ich umgeben bin von Philosophie, Wissenschaft, Politik, Lektüre, die über Jahrtausende von Männern für Männer gemacht worden ist. Kein Wunder, dass ich bei all meiner Empathie irgendwann die Lust verloren habe den Gedanken und Gefühlen zu folgen.
Mit „Die Erschöpfung der Frauen“ von Franziska Schutzbach habe ich zum ersten Mal ein Buch gelesen, dass meinen individuellen Zustand mit einem gesellschaftlichen und strukturellen verknüpft. Yeah! Ich war nicht mehr allein, die Gefühle, Zustände, Erlebnisse universell und ich nicht mehr selbst Schuld!
„Das Unwohlsein der modernen Mutter“ hat mir Mut gemacht, weil die Forderung, dass die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Kunst möglich sein muss. Art or Babys? Beides!
Und Mareike Fallwickls Roman „Die Wut, die bleibt“ hat all meine Themen, Gefühle, Wirrungen und Wut in einer Geschichte vereint. Ich war berauscht, als ich fertig mit Lesen war, habe es verschenkt und andere angestiftet den Roman zu lesen. Und ich wusste, das will ich auf der Bühne erzählen, damit noch mehr Menschen es sehen, lesen und sich darüber austauschen.
Ich hatte Glück! Ich bin Nora Khuon und Sonja Anders begegnet, die die Idee geteilt haben und der Umsetzung einen Raum geben! Ich hab das Glück, dass Mareike der Dramatisierung zugestimmt hat! Ich hab das Glück, dass Bettina Hering uns das Vertrauen schenkt, dass die Uraufführung in Salzburg sein darf! Und das Glück, dass die Deutsche Erstaufführung in Hannover sein wird! Und ich habe das Glück, dass ich mit Katja Hass, Juliane Kalkowsi, Jörg Kleemann und Suzan Demircan ein liebevolles, kreatives, kluges, begeistertes Team habe!
Es ist so ein wahnsinniges Gefühl, wenn etwas Realität wird, was im Frühjahr 2022 nur ein Gedanke war!
Und wer ist die Made im Speck?
Im Winter habe ich mir angehört, dass Mareikes Buch ein Abklatsch des im Feuilleton behandelten Diskurses sei, platt und sprachlich banal. Und dies ja kaum wert auf einer Bühne zu erzählen. Und während ich der Frau und ihrem Monolog lauschte, tickte mein Gehirn: Warum kann diese Frau nichts mit dem Roman anfangen? Wie kann sie etwas, was ich feiere, erhellend und klug finde, langweilig, banal und papieren beschreiben? Wie kann es sein, dass sie das nicht erlebt hat? Bodyshaming, Schönheitsideal, Lookismus, Gewalt, gefangensein in der Sorgearbeit, Benachteiligung, Misogynie, Anpassungsleistung, die zur Selbstbeschädigung führt, Reproduktion von überholten Bildungsbegriffen und von Femizid?
Ich fühlte mich, wie sich vielleicht die Verschwörungstheoretiker*innen fühlen?
Sehe und erlebe ich etwas, was andere nicht kennen/sehen? Vielleicht gibt es etwas, was sie nicht betrifft, aber mich?
Ambiguitätstoleranz heißt eins meiner persönlichen Lieblingswörter. Etwas aushalten, eine Beschreibung der gleichzeitig erlebten Situation, die unterschiedlicher nicht sein könnte. Widersprüchlichkeit aushalten.
Und dennoch frage ich mich, in welcher Bubble sie unterwegs ist und in welcher ich stecke?
Die Made im Speck. Die ist irgendwie ein ekliges Bild. Ich mag Maden nicht und will weder mich, noch jemensch anderen so sehen. Das Einzige, was mir an dem Bild gefällt: Wenn sie sich von einem toten Wesen satt essen kann, kann sie zum Schmetterling werden und den Schmetterlingseffekt auslösen.
Es ist seltsam. Mit dem Älterwerden lagern sich Bilder und Erinnerungen in meinem Hirn ab, die zu einer Überlagerung der Realität führen.
Ich radele am Nordbahnhof lag und sehe, wie ich vor 20 Jahren dort lief. Eine Brache, ein weiter Platz, an dem eisiger Wind pfiff. Eine Erinnerung, die die jetzige Wahrnehmung überlagert. Früher gab es doch so Fotos, die waren aus Versehen doppelt belichtet und dann wurden so Geisterabdrücke auf dem Bild sichtbar.
So fühlt es sich an, wenn ich durch Berlin radele, also somewhere, klar punktuell. Ich sehe Baulücken, die längst geschlossen sind, das Café Niesen, was nicht mehr da ist, den Regenbogenspielplatz, der inzwischen anders aussieht, Bäume, die gefällt wurden, wiegen sich noch im Wind.
Diese Doppelbelichtung der Stadt hat für mich auch etwas sichtbar gemacht: Alles ist Gestaltung und Planung von Menschen. Irgendwann hat sich jemand mal etwas, hoffentlich!, dabei gedacht und dann wurde es gebaut und realisiert.
Aber das bedeutet auch, dass es auch nicht da sein, dass es anders aussehen könnte. Dass all diese Architektur, die Straßen, die Lampen, die Stromkästen, alles, könnte auch anders angeordnet sein oder eben anders aussehen oder nicht da sein.
Manchmal stelle ich mir das vor: Ich sprenge Häuserreihen im Kopf und lege einen Park an, pflanze Bäume, bilde ein Utopia, baue Baumhäuser, verteile den Raum um für alte Menschen, Tiere, Menschen mit anderen Bedürfnissen, Frauen, Kinder und Familien. Diese Stadt sieht dann anders aus!
In einem meiner Lieblingsvorlesebücher, gibt es ein Viertel, das ist ebenerdig und eins, das auf den Dächern ist. Die Dächer sind begrünt mit Dachgärten und es gibt Brücken und Übergänge, um von einem Viertel zum anderen zu gelangen.
In meinem Berliner Viertel ist es möglich über die Dächer im Caree zu laufen, wären sie begrünt, gesichert und zugänglich!
Und dann sehe ich mich um, sehe wieder die Realität und werde traurig. Ich realisiere, dass die Umverteilung des Raumes zu langsam geht, dass ich immer noch mit dem Rad aufpassen muss, dass ich nicht totgefahren werde. Ich muss den Hund anleinen, die Katzen drin halten, vorausschauend für die Kinder agieren, um sie zur Not zu beschützen. Ich halte den Schlüssel umklammert, wenn ich nachts unterwegs bin und spähe nach Fluchtwegen. I can’t believe, I still protesting this shit!
Aussteigen geht ja nur, wenn mensch schon irgendwo eingestiegen ist. Ich hatte so einige Jobs: Zeitungsausträgerin, Imbissbudenfrau, Thekenkraft in der Disko, Assistentin, Souffleuse, Requisteurin, Altenpflegerin, Erzieherin, Lehrerin, Regisseurin.
Der einzige Job aus dem ich nicht aussteige, obwohl ich mir immer wieder Urlaub nehme, ist die Elternschaft. In allen anderen bin ich zeitweise ganz oder für immer ausgestiegen.
Als ich 2014 beschloss, dass ich mit dem Theater aufhören will, hatte ich schon mehrere Jahre des Zweifelns hinter mir. Als ich es dann anfing umzusetzen, hatte ich noch zwei Jahre in dem Job vor mir. Diese Zwischenzeit war von vielen Amplituden durchzogen: Zweifeln am Aussteigen und Angst vor dem Neuanfang. Angst vor einer Fehlentscheidung. Angst etwas loszulassen, dass so vertraut und identitätsstiftend ist. Freude auf das Loslassen und auf das Neue. Freude vor dem Ungewissen und Freude auf das Lernen.
Als ich 2016 mit der Ausbildung anfing, fühlte sich das Ausgestiegen sein leicht und aufregend an. Wie Neubeginne sich so anfühlen. Euphorisch, wie der Kipppunkt, bevor die Achterbahn nach unten saust. Adrenalin, Kribbeln, Ohrensausen, doppelter Espresso im Herzen.
Was ich losgelassen hatte, was ich vermissen würde, was verloren war, was ich nicht brauchte, was ich nicht vermisste, das stellte sich erst im Laufe der Zeit heraus.
Ich habe viele Kompetenzen mit in den neuen Beruf nehmen und von meinen Erfahrungen profitieren können. Das ist das Tolle, wie beim Reisen, der Erfahrungsschatz kommt mit. Das Leben geht weiter, eben nur woanders. Es war amazing, inspiring und toll wieder so viel Input zu bekommen, diesen diskutieren und vertiefen zu können. Den Kopf und das eigene Denksystem über die eigenen Grenzen zu führen, eben open minded.
Es war wohltuend und entlastend mich auch neu erfinden zu können, keinem Bild entsprechen zu müssen und ein neues Profil zu prägen.
Nun, da ich in den Regieberuf wieder eingestiegen bin, frage ich mich, warum ich mir nicht eine 6jährige Auszeit mit Reisen und ohne den Stress einer Ausbildung genommen habe?
Und dann erscheint die Summe der gemachten Erfahrungen, die ich in dieser Zeit sammeln durfte: ich habe viele interessante Frauen kennengelernt, ich habe Themen, wie Intersektionalität, Diversität, Feminismus und wie wird der Mensch zum Mensch? Wie geht Lernen? vertieft und hatte Zeit zum Lesen, Lesen, Lesen.
Und am Basalsten hat sich in mir die Erfahrung abgelegt, dass ich das kann: aus- und einsteigen, loslassen, neu anfangen. Ganz zu bleiben, auch woanders.
Und jetzt da ich wieder im „alten“ Metier bin? Es ist eine Freude! Es ist nichts verlernt. Es ist vielschichtiger. Ich habe eine neue Schatzkiste gefüllt und kann daraus schöpfen. Es ist crazy.
So to say: Wer es sich leisten kann, wer Lust drauf hat, wer es sich wünscht, macht es!
Es gibt ja so Studien, die belegen, dass Mädchen sagen und empfinden, dass sie in Mathematik schlecht seien, weil es ihnen vom Außen nicht zugetraut wurde.
Und noch dazu hat die Forschung geforscht und rausgefunden, dass ein gutes Körpergefühl, also die Benennung der eigenen Körperteile, Erfahrungen mit dem eigenen Körper und anderen Körpern sowie die Wahrnehmung im und von Raum, die Grundlage für mathematische Lernprozesse sind. Also Rangeln, Raufen, Toben, Klettern, Fallen, Abrollen, Balancieren, Lego, Kappla und Baupläne bauen. Und für alle Lernprozesse sind Zuversicht, Zutrauen, Zuwendung und Ermutigung von außen wichtig.
Ich mochte und mag Mathe. Frau Wolf hieß meine erste Mathelehrerin, sehr streng, sehr autoritär, Zuversicht und Zuwendung gab’s bei ihr nicht. Aber Zutrauen. Sie hat uns geschlechtsunabhängig gefördert und gefordert. Darin war sie gerecht, unerbittlich und streng. Und sie war eine Frau, ein Vorbild und so bin ich nicht auf die Idee gekommen, dass ich nicht Mathe lernen kann.
Die Lehrerin auf der weiterführenden Schule war ähnlich, wütend und zornig und hat uns, wenn wir nicht aufmerksam und konzentriert waren, mit ihrem Schlüssel beworfen.
Mein Sohn würde jetzt laut rufen: „Das ist doch schwarze Pädagogik!“ Ja, stimmt, da war nichts liebevolles, nichts bedürfnisorientiertes und mathematisches Lernen war ein Kraftakt: nicht aufgeben, durchbeißen, verzweifeln, mich dumm fühlen und nicht kapieren, verzweifeln. Ich konnte im Kopf fühlen, wie ich immer wieder an die Wände geprallt bin, wie ein Duracell-Hase in einem runden Raum…
UND ABER
Weswegen ich mathematische Lernprozesse liebe: weil ich durch sie systemisches Denken und das Sprengen von Systemen gelernt habe.
Es gibt doch so Filmszenen, in denen riesige Glaswände springen, riesige Aquarien zerbersten, Wände zerschmettern und das Dahinter sichtbar wird. Remember?
Dieses Gefühl von Energie, von Denksysteme sprengen, erkennen, sehen, was dahinter ist und Klarheit gewinnen, das habe ich gefühlt und gelernt, wenn ich an meine Denksystem-Grenzen in Mathe gestoßen bin und es dann geschafft habe diese zu überwinden und die Aufgabe zu lösen.
Und noch etwas fällt mir auf: „No Fear“ steht gerade als Tattoo auf meinem Mittelfinger.
Wenn ich vor einer mathematischen Aufgabe in einer Klausur saß, die mir unlösbar schien, da hat mir geholfen zu wissen und zu erinnern, dass diese Aufgabe schon gelöst wurde und dass es eine Lösung gibt. Und dann habe ich mich umgesehen im Raum und all die panischen Augen gesehen, die ein Fragezeichen in die energetische Cloud senden.
Ich habe die gemeinsame Energie im Scheitern gesehen und wenn ich plötzlich auf eine mögliche Denklösung gestoßen bin, dann habe ich die gemeinsame Energie im Bewältigen gespürt.
Es war so ein Moment von „das wäre doch eine Möglichkeit“ und dann musste ich mich das nur noch ausprobieren.
Das Gefühl, wenn dann am Ende etwas rauskommt, was dann nochmal rückwärts durchgerechnet musste, und/aber wenn es dann „stimmte“, dann trat das High-Sein vom Lösen ein. Wenn ich dann meinen Blick wieder im Raum schweifen ließ, konnte ich die gemeinsame Energie sehen „Wir haben es geschafft!“, das „Unmögliche“ hat Formen angenommen und ich konnte mich damit verbinden und verbunden fühlen. Anderen, die noch rätselten einen zuversichtlichen Blick zuwerfen, ermutigen, eben nicht hämisch grinsen, sondern Energie senden und/oder einfach meinen Arm öffnen, damit meine Sitznachbarin abschreiben kann.
Bildung Genie Reproduktion
Goethe, Schiller, Lessing, Heine, Hoffmannsthal, Storm, Eichendorff, Büchner, Kleist, Brecht, Mann, Grass.
Alle tot. Alle noch Teil der Bildung. Durch das eine oder andere Werk muss sich ein*e Schüler*in gerade zwingen.
In meinem Elternhaus und in meinem Großelternhaus standen Erst- und Gesamtausgaben wie Insignien: Einerseits waren es bürgerliche Bibliotheken, stolze Sammlungen von Werken von stolzen Leser*innen und Besitzer*innen. Andererseits ganz objektiv aber auch das: verstaubt, vergilbt, in Sütterlin, in Altdeutscher Schrift und den unsichtbaren Tierchen und dem Verfall ausgesetzt.
Ich habe beide Häuser in den letzten 2 Jahren leergeräumt, über 100 volle Buchkisten, interessanterweise hat sie nur ein Antiquar umsonst genommen. Bücher? Bücher will keine*r mehr haben.
Ich hätte mal zählen sollen: wie viele Autoren versus Autorinnen meine Familie gesammelt hat. Ob eine Kiste voll geworden wäre?
Ich bin mit dem Schrecken und der Schuld der Bücherverbrennung aufgewachsen. Bücher? Bücher sind wertvoll. In Anbetracht der schrecklichen Tat der Nationalsozialisten müssen sie bewahrt, konserviert, aufgehoben und beschützt werden. Ja, stimmt.
Und/aber wo sind die Bücher von Frauen und marginalisierten Menschen, die nicht verlegt, die nicht wieder neu aufgelegt wurden, die nicht geschrieben werden konnten? „Das was fehlt“ heißt das Buch von Tillie Olsen, die sich damit auseinandergesetzt hat, welche Bedingungen es zum Schreiben braucht. Unbedingt lesen!
Eine meiner Freundinnen ist Künstlerin, Mutter, Pädagogin und studiert noch einmal Lehramt. Sie macht gerade ihr Referendariat und erarbeitet sich im Rahmen des Lehrplans Themen, die sie vermittelt. Gerade das Thema Architektur. Oberstufenschüler*innen haben jeweils 5 Minuten um Architekten und Architektinnen zu ermitteln. Als sie fertig sind, stellt meine Freundin die Frage, warum sie mehr Namen von Männern gefunden wurden? Weil Frauen nicht rechnen können, antwortet ein Schüler. What?
What? What? What?
Das wiederholte Nachfragen meiner Freundin löst in der Klasse Konflikte aus. Die Schüler fühlen sich von der wiederholten Nachfrage und dem Blick auf die Frauen in der Architektur diskriminiert, die Schülerinnen unwohl, weil es zu Spannungen im Klassenklima kommt. Meine Freundin kriegt später die Rückmeldung aus dem Kollegium, warum sie es sich so kompliziert mache? Sie könne doch auf das Material von berühmten Architekten und Stilrichtungen zurückgreifen. What?
Ich fasse zusammen: Berlin, 2022, Oberstufe, engagierte Referendarin bereitet ein Thema im Sinne der Gleichberechtigung auf und ihr schlägt so ein Backlash in der Klasse und im Kollegium entgegen. What?
Wenn es zur immer gleichen Reproduktion und Repräsentation von Biografien, Namen und Werken kommt, verschwinden Namen, Biografien, Werke von Menschen, die auch da waren und gewirkt haben.
Sie werden nicht verbrannt, aber sie werden unsichtbar und dann scheint es so, als gäbe es sich nicht oder als wären sie nicht existent.
Dieser Scheiß Genie-Kult! AHHHHH!
Wer da mitmacht, trägt zu einer narzisstischen Kultur bei, die Diversität und Gleichberechtigung verunmöglicht!
Die Bildungsprogramme sind so klug, gut geschrieben und veröffentlicht. Aber es mangelt an der Umsetzung!
Practice what you preach!
Und wenn es nur mit einer Quote geht, dann bin ich für eine Diversitätsquote in der Bildung.
Wie soll sich etwas ändern, wenn die Abbilder und Vorbilder fehlen?
Unser Gehirn funktioniert über Komplexitätsreduktion. Es muss clustern, sonst verbraucht es zu viel Energie. Das heißt, die immer gleichen Gedanken manifestieren Verknüpfungen, wie Wege durch einen Wald. Erst sind es Pfade, dann Wege, dann Straßen und so weiter.
Die Repräsentation und Reproduktion von den immer gleichen Biografien und angeblichen Genies führt zu einer Vereinfachung von Weltsicht und Diskriminierung.
Do your job! Educate yourself! Macht die anderen sichtbar!
Die die eh schon überall verlegt sind, Ausstellungen, Preise, Auszeichnungen haben, sind eh schon sichtbar. Sie werden nicht plötzlich unsichtbar, wenn andere sichtbar werden.
Karsch, La Roche, Wollstonecraft, Schopenhauer, Pichler, Austen, Varnhagen, Imhoff, Günderode, Arnim, Droste-Hülshoff, Sand, Brontë, Chopin, Lagerlöf, Kurz, Woolf, Escher, Huch, Lasker-Schüler, Seidel, Baum, Sachs, Seghers, de Beauvoir, Fleißer, Kaschnitz, Keun, Kaléko, Brückner, Lessing, Highsmith, Plath, Bachmann, Wolf, Morgner und das ist eine unvollständige Auswahl.
Mareike Fallwickl hat gepostet, dass sie die einzige Autorin beim diesjährigen Programm der Salzburger Festspiele ist.
What?
Frauen und andere marginalisierte Gruppen brauchen Raum und Repräsentation, damit sie Vorbilder sind. Lernen ist ein sozialer Prozess und funktioniert überüber Abbilder und Nachbildung. Ohne Vorbilder weniger Nachbilder logisch, oder?
Lange Zeit habe ich mich allein durchgekämpft. Mein Leben war sehr aufregend, aufreibend, auf Reisen. Als Regisseurin gehört reisen, unterwegs sein, neu orientieren, in einer fremden Stadt, Theater, Land ankommen, sein und zurechtfinden zum Berufsprofil und Prozesse wie Transferleistungen und Übersetzungen sind Tagesgeschäft.
All das kostet Energie und ich hatte viel Energie, (ich war noch keine Mutter. HAHA.), und die Energie hat für das Jetzt, die Proben, die Verbindung, den Austausch mit dem Produktionsteam und dem Theater gereicht, aber nebenher war nichts und /oder wenig möglich.
Ein Leben im Jetzt, mit Kontinuität und Loyalität, aber ganz klar: Eine Einzelkämpferin, snobby, finde ich heute rückblickend.
Ich habe zugelassen, dass andere über mich schreiben, mich bewerten, mich beschreiben. Kritiken, Porträts, Interviews.
Die habe ich manchmal gelesen, selten gegengelesen und korrigiert, fast nie mich gesehen und gemeint gefühlt. Fast nie? Eher nie.
Und irgendwie habe ich Theater-Jounalist*innen (oder heißen sie Theaterkritiker*innen?) verachtet: Menschen ohne Land, habe ich sie genannt. Die ein Land, das andere Menschen erschaffen haben, im besten Fall beschreiben und in meiner Wahrnehmung meistens nicht mal das, viel zu oft nur fokussiert auf die eigene Befindlichkeit in der Zuschauerperspektive und ob das Abendessen leicht verdaulich war und wenn diese Frage nicht im Vordergrund stand, dann schreibend für und gegen die anderen schreibenden Kolleg*innen.
Auf meine Frage, die ich einem renommierten Kritiker mal gestellt habe, warum er hauptberuflich Verrisse schreibe, sagte dieser ungefähr das:
„Eine Lobeshymne ist sehr schwer zu schreiben, ein Verriss macht Spaß beim Schreiben. Und außerdem schreibe ich ja nicht für die Leser*innen, sondern ich schreibe stilistische Blüten für meine Kollegen.“ Gegendert hat der nicht, aber ehrlich war er in dem Moment. Ha, remember P.M.?
Ich habe mich immer gefragt, wo da das Handwerk, die Ethik, die Wertschätzung, das Empowerment steckt?
Und heute frage ich mich, ob es eine neue Generation gibt, die ihre Aufgabe im Support und in der Vermittlung sieht?
Na, egal, ist ja eh Abendunterhaltung und mir geht’s nicht um‘s Bashing.
Sondern darum: warum schreiben?
Warum schreiben und veröffentlichen und Erfahrungen zur Verfügung stellen?
Ich habe nie geschrieben in der Zeit als Regisseurin. Dabei habe ich früher (Schule) gern Aufsätze geschrieben.
Erst in der Ausbildung zur Erzieherin musste ich wieder schreiben. Mit der Hand. Stundenlang. Uh, das tat weh. Weil ich eigentlich nur noch tippe.
Und mit der eigenen Handschrift ist das so eine Sache. Ich denke schneller, als ich schreiben kann. Ich habe mit der Hand schreiben verlernt. Ich mache Schreibfehler, die das Programm (welches Programm? Also ich!) nicht sofort ändert oder einfügt, ausschneidet oder löscht. Früher hieß das T9 auf meinem Nokia… mit der Hand hieß es Tintenkiller und heute Frixon ball. Egal. Ich habe mir also wieder seitenlang Notizen gemacht, stundenlang Blätter in Klausuren gefüllt und am Ende eine Abschlussarbeit geschrieben.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich das kann. Schreiben, Gedanken zusammenfassen, reflektieren, dem Flow vertrauen, redigieren und korrigieren. Der Zeitpunkt und das Thema müssen da sein.
Warum leckt sich die Katze den Po? Weil sie es kann.
Aber warum dann nicht einfach Tagebuch schreiben und das Private privat lassen?
Weil ich mich erinnere, wie es war eine Einzelkämpferin zu sein und ich mich allein gefühlt habe. Und Schreiben und Veröffentlichen teilen und Sichtbarkeit bedeutet.
Wofür es kein Wort und keine Schrift gibt, das kann unsichtbar bleiben, kann verleugnet, verleumdet, verschwiegen werden und ist nicht da. Daher schreibe ich.
Wo ein ICH ist, ist ein WIR
Unser Sohn lernt gerade Skateboard fahren. So stehe und sitze ich nach 16:00 auf einem Skateplatz und schaue zu, wie er die Rampen hinauf und hinunter rollt. Zusehen ist wichtig, einmal habe ich nebenher telefoniert oder einmal versucht zu lesen, weil das Buch für die Arbeit noch eben schnell fertiggelesen werden wollte.
„Du sollst zusehen!“, „Schau hin!“, „Mama!“ werde ich ermahnt und das heißt: „Halte gefälligst den Augenkontakt, drifte nicht ab, konzentrier dich!“
Und ich verstehe das. Ich bin mit ihm genauso streng, wenn ich will, dass er an etwas dranbleibt.
Und es ist Quality-Time. Das habe ich mir vorgenommen, ab dem Moment als die Jungs in die Kita gingen. Nach einem 8-Stunden-Tag Arbeit in Schule oder Kita haben sie ein Recht, wenn sie wollen, auf eine anwesende Mutter, auf Kontakt, Beziehung und Verbindung. Und daran versuche ich mich seit 11 Jahren zu halten, ermahne mich, scheitere an meinem Vorsatz und betrüge mich oft mit dem Satz: „Ich mach nur mal schnell…“
Multitasking ist ja erwiesen, „schwedische Wissenschaftler*innen haben festgestellt“, dass nur sehr wenige Menschen ihre Aufmerksamkeit wirklich teilen können, die anderen tun nur so und können ihre Aufmerksamkeit eigentlich nur auf eine Sache fokussieren.
So und da sitze oder stehe ich und sehe zu, wie unser Sohn sein Gleichgewicht verlagert und rollt, da fühle ich plötzlich, wie meine Spiegelneuronen von seinen Bewegungen und seiner Geschwindigkeit getriggert werden. Ich sehe ihn gleiten, driften, sliden.
Und da spüre ich dieses Gefühl: Sliden. Ein Gefühl von Bewegung, Tempo, Gefahr. Wie die Luft sich als Windhauch um den Körper herumlegt und teilt. Wie die eigene Beschleunigung Windhauch und Wirbel erzeugt. Und dieses Gefühl, DIESES Gefühl, fühlt sich für mich an wie Freiheit.
Ich bin als Kind Rollschuh gelaufen, die meisten kennen Eislaufen, aber das eben in einer Halle auf vier Rollen.
Es gab Pflicht und Kür. Ich war in beidem bestimmt nicht gut, auf der Siegertreppe stand ich immer nur auf Platz 3 von Dreien. UND egal, das war mein Sport! Weil: am Anfang musste ich mich einlaufen, also schnell mit viel Tempo Runden laufen. Und da war ich sehr schnell und mein Körper hatte kein Gewicht mehr, da kam dieses Gefühl: Sliden.
Und dann gab`s für die Kür Sprünge zu lernen: Axel, Lutz, Flip, Toelopp, Rittberger, Doppelter Rittberger. (Sind das eigentlich Trainernamen? Ist doch ein Sport, der zum Großteil von Mädchen/Frauen gefahren wird.)
Naja egal. Die Sprünge: Mit großer Geschwindigkeit den Stopper auf die Bahn rammen, mit dem anderen Bein Schwung holen, abspringen, in der Luft drehen und laden, weiterfahren. Kurz sich wie ein Tornado fühlen und weiter… gleiten…
Im Lockdown hatte ich irgendwann das Gefühl mit meiner Wut, mit den Wesen um mich herum, mit meiner Unfähigkeit die Sorge-Arbeit nicht mehr gelassen hinzukriegen, gefangen zu sein. Richtig trapped. Eng, ausweglos. Und auch ohne Perspektive. Dystopisch.
In der Pädagogik gibt es den Begriff des Kohärenzgefühls. Es setzt sich zusammen aus drei Komponenten: ist etwas handhabbar, ist etwas verstehbar und ist etwas für mich bedeutsam. Das Kohärenzgefühl beschreibt damit ein tiefsitzendes Gefühl oder fasst eine Lebensorientierung, die darüber Auskunft gibt, wie man mit dem Leben oder mit Herausforderungen klarkommt – auch wenn es schwierig wird. Je fassbarer und spürbarer das Kohärenzgefühl, umso besser kommt ein Mensch mit Aufgaben im Leben klar.
Ich habe im Lockdown verstanden, dass ich Homeschooling und Care-Arbeit für unsere Kinder leisten sollte, um uns und andere zu schützen.
Ich konnte die Bedeutung und das Ausmaß nachvollziehen und eine Zeit lang, da fiel mir die Handhabe auch leicht:
Ausschlafen statt um 6:00 aufstehen.
Frühstücken mit Zeit statt schnell schnell.
Tagesstruktur für 24/7 vorgeben, statt 6/4, 9/1 und 24/2.
Gemeinsam lernen statt nachzufragen „Wie war es in der Schule?“ und „Gut“ und „Weiß nicht“ zu hören.
Homeschooling und Homeoffice statt Gehetze von A nach B und diese schwierigen Übergänge gestalten.
Und dann hat mich all das gekillt.
Ich bin immer wütender geworden.
Ich habe gewütet gegen unsere Kinder und gegen mich.
Diese Zeit hat einen Abgrund in mir heraufbeschworen, mich gewalttätig werden lassen. Das Wechselbad aus Unfähigkeit, Scham, Schuld und Forgiveness hat mich zutiefst erschöpft.
Ich habe keinen Hang depressiv oder pessimistisch zu sein. Ich bin ein fröhlicher Mensch und optimistisch, aber wäre ich länger in diesem Zustand gewesen, hätte ich mich, wie Helene, aus „Die Wut, die bleibt“, vom Balkon geworfen.
Und dann habe ich angefangen zu tanzen. In der Wohnung mit und ohne Kopfhörer auf, mit und ohne Kids. Ich bin mit meinen Lieblingssongs sehr schnell Fahrrad gefahren und habe dazu laut gesungen. Und ich habe mir Rollschuhe gekauft und bin gesprungen, gefetzt und bis zur Atemnot gerannt.
Bis ich es wieder gespürt habe: Die Weite. Den Wind. Die Freiheit. Das Sliden.
„After all of the darkness and sadness soon comes happiness”
„Come back, come back to where you once belong.”
6 Jahre habe ich etwas anderes gemacht. 6 Jahre war ich kaum im Theater. 6 Jahre habe ich nicht inszeniert.
Und vor zwei Jahren hätte ich geschworen, dass ich nie wieder inszeniere. Ich hab auf die oft gestellte Frage „Warum macht Du kein Theater mehr?“ immer geantwortet: „Das ist vorbei. Das ist wie mit einer Beziehung, die zu Ende ist.“ In Zeiten des Lockdowns habe ich mich gewundert über die Diskussion, dass Theater doch systemrelevant seien und dachte, ja, das stimmt für diejenigen, die finanziell abhängig und selbstständig sind und für die, die nie aus der Bubble raus waren. Für mich hatte es keine Relevanz mehr.
Nach dem 2. Lockdown habe ich abgewartet, ob die Kinder wieder stabil in die Schule gehen oder ich wieder in die Lockdown-Hölle muss?
Und dann habe ich mir die Bücher von Frauen geschnappt, die mich interessierten, gelesen und mir Zeit gelassen.
Und in dieser Zeit tauchten Erinnerungen auf: wieviel ich gelacht habe auf Proben. Wie es sich angefühlt hat, wenn diese gemeinsame Energie den Raum flutet. Wie viel Liebe füreinander da war, wenn es keine Demütigung, keinen Machtmissbrauch gab, sondern Achtsamkeit, Wertschätzung, Dialog auf Augenhöhe und jede*n so sein lassen, wenn ein angstfreier, kreativer Raum entsteht. Es ist einfach ein irrer gemeinsamer Schaffensprozess in einer Gemeinschaft auf Zeit.
Und dann entstand die denkbare Möglichkeit, dass ich mit ausgewählten Menschen das nochmal versuche.
Ich bin dann mit mir wichtigen Menschen spazieren gegangen und habe gefragt, was hat sich verändert? Was hast Du gemacht in der Zeit? Was treibt Dich um und an?
Ein von mir sehr geschätzter Schauspieler sagte dann, als ich ihm meinem Vorhaben in der freien Szene Projekte zu akquirieren erzählte: Du musst Deine Ressourcen nutzen. Welche Ressourcen, habe ich gedacht? Ich fange wieder an, da gibt es keine Ressourcen und ich werde bestimmt nicht Klinken putzen oder schleimen oder mich verbiegen.
Und dann kamen die ersten Projekte zu mir. Das klingt eitel, aber was passierte, war, dass ich auf Frauen traf, die an einem Thema, Stück, Projekt arbeiteten und sich vorstellen konnten, mich daran teilhaben zu lassen. Dafür bin ich den Frauen sehr dankbar, weil damit die kalte Glut wieder entfacht war.
Auf dem Festival „Burning Issue” sagte Nicola Bramkamp etwas, das mir die Scham genommen hat. Es war so etwas wie: Wenn Ihr aussteigt aus dem Theater und Coachs werdet und/oder Lust auf eine Weiterbildung und/oder einen anderen Job habt, dann macht das. Aber kommt wieder. Die Theaterlandschaft braucht Euch. Und wenn Ihr Schauspieler*in, Regisseur*in wart, dann redet nicht davon in der Vergangenheit. Ihr seid das noch und werdet es bleiben. Dieser Zuspruch nicht direkt zu mir, sondern in den Raum hinein, hat mir den Mut gegeben. Ich dachte, stimmt, ich bin staatlich anerkannte Erzieherin und Regisseurin. Und ich bin kein Einzelschicksal. Da sind einige mit mir im Raum, die sich selbst aus dem Theaterbetrieb genommen haben oder entfernt wurden und wenn sie wollen, gibt es einen Weg zurück.
Das Empowerment und die Anerkennung von außen war wichtig, weil ich voller Scham und Zweifeln und mein Fokus auf dem Makel ausgerichtet war, nicht auf der Bereicherung und der Vielfalt meiner beruflichen Biografie.
Reflektierend aus den Erfahrungen, die ich gesammelt habe, weiß ich, was mir keine Freude gemacht hat, also habe ich ein paar Bedingungen:
Ich will mit einem kleinen Ensemble arbeiten. Kein Nibelungen- oder Shakespeare-Ensemble mehr.
Ich werde nicht mehr mit Arschlöchern arbeiten.
Was meine ich damit? Ich benötige auf der Probe Menschen, mit denen ich in Verbindung treten kann, deren kreatives Schaffen auf Augenhöhe und im Dialog entsteht. Menschen, deren kreative Energie nicht aus dem toxischen, sexistischen Widerstand entsteht, sondern Menschen, die sich öffnen, suchen und benennen können, was sie suchen.
Ich will wieder mit all den Menschen arbeiten, mit denen dieses wundervolle Arbeiten schon möglich war.
Ich arbeite lieber mit wenig Geld als mit ungleicher Verteilung.
Ich werde nur Stoffe, Themen inszenieren, für die ich brenne.
Kein Shakespeare, kein Hebbel, kein Lessing, sondern divers, inklusiv und feministisch.
Ich werde nur mit Menschen an diesen Themen arbeiten, die sich für diese Themen auch zu 100% interessieren.
Auf der Party unserer Company hat eine Regisseurin zu mir gesagt: „Das hat mich irritiert, dass du aufgehört hast. Weil Du immer da warst. Und ich dachte, wenn Jorinde das nicht schafft, dann schaffe ich es auch nicht.“
Ich bin wieder da und freue mich auf all die schönen Begegnungen!
Ich habe keine Schwester, ich habe einen Bruder. Einen großen Bruder. Einen GROSSEN Bruder. Zu dem habe ich immer aufgesehen.
Mein Bruder hat mal gesagt, die Beziehung zu einer Schwester oder zu einem Bruder ist die längste Beziehung, die ein Mensch haben kann.
Mit 3 Jahren bin ich meinem Bruder und seiner Bande hinterher gestolpert und durch‘s Viertel gefolgt. Die Bande war ein wilder Haufen, Jungs mit Pfeilen, Erbsenpistolen, Matschbomben: Maxi, der Bäckersjunge war zart, klein und wurde von seinem Vater geschlagen, Ralf war kräftig, hat gestottert und wurde von seinem Vater täglich gedemütigt und bei Philipp war einfach alles schief und unsicher, da war der Vater Polizist, glaub ich, und hat geschrien, ein Choleriker.
Und mein Bruder war der Anführer dieser Bande. Einer Bande, die sich hinten in unserem Garten, fernab der Gewalt der autoritären Väter und dem Schweigen der co-abhängigen Mütter, verschanzte.
Vielleicht war er auch nicht der Anführer, denke ich gerade, vielleicht war er auch einfach nur einer von ihnen und bei uns einfach nur der Ort, der Save Place, weil unsere Eltern zugewandt und herzlich waren oder wir einfach den meisten Matsch hatten.
Jedenfalls zog diese Bande abenteuerlustig durch die Gärten unserer Hood und abgesehen vom Rummatschen, Schnitzen und ab und an Klingel-Steichen, waren die 4 Jungs friedfertig.
Okay, ich wurde gefesselt, abgeschossen und irgendwann hab ich auch beschlossen, dass ich vor der Tür, nach dem Klingelstreich, stehenbleibe, nett lächle und winke, weil ich beim Wegrennen nicht mithalten konnte und eh immer erwischt wurde. Und der Koffer ging auch mal nicht mehr auf, weil das Schloss sich vom vielen Herumwerfen und Toben verhakt hatte und ich fand’s dann drin im Koffer schon irgendwann sehr stickig, aber – und ich will hier nicht die Gewalt verherrlichen, gutheißen oder rechtfertigen, denen die Jungs ausgesetzt waren und die sie auch weitergegeben haben. Die war da. Und hatte auch noch eine Normalität, sie passierte den meisten Kindern im Viertel und mein Bruder und ich waren Ausnahmen der gewaltfreien Erziehung, denn dieses Recht wurde erst 2001 gesetzlich verankert und wir alle wissen, dass etwas, was so lange Realität war, sich nicht von heute auf morgen ändert – aber/und watch this: Es waren die 80er und wir Kinder liefen unterm Radar, Helikoptereltern waren noch nicht erfunden und wenn wir spätestens um 19:00 zuhause waren, waren alle glücklich.
Jahre später als mein Bruder in der Punkbänd „Die Schwiegersöhne“ Schlagzeug spielte und Tags sprühte, schlich ich nur noch in seinem Bannkreis herum und es öffneten sich mir durch ihn die Türen des Jugendzentrums und des besetzen Hauses. Allerdings war ich dann nur noch drum herum, als kleine Schwester mehr ignoriert und höchstens geduldet. Aber etwas von seinem Glamour fiel als Glitzer auf mich herab.
Dann zog ich weg aus der Kleinstadt, wurde Regisseurin, stand plötzlich im Scheinwerferlicht, war immer busy und mega erfolgreich oder einfach mega busy ohne erfolgreich jedenfalls immer mega weit weg in meiner Bubble. Und plötzlich drehte sich unser Verhältnis. Ich wurde von der kleinen Schwester zur Schwester und er wurde vom großen Bruder zum Bruder.
Mein Bruder und ich haben im Januar das Haus unserer Kindheit leergeräumt. Neben vielen Erinnerungen, Staub und Mäusescheiß haben wir festgestellt, dass wir – obwohl wir seit langem nicht mehr in der gleichen Stadt wohnen, seit 30 Jahren nicht mehr den Alltag teilen, seit langem in Partnerschaft und Elternsein leben, also lange in anderen Familien-Systeme aktiv sind – dass wir ähnlich ticken, denken, nonverbal handeln und teilweise verbal synchron sprechen und antworten. Das ist verrückt. Das ist irre. Das ist Sisterhood. Das ist Geschwisterschaft für mich.
„You are my heart
you are my soul
you are the feeling
that love will grow“
Ich habe einen Bruder. Ich habe viele Schwestern. Schwestern im Herzen und im Geiste und wenn ich mich verbinde und verbunden fühle, dann spüre ich das Universum.
• Ich heiße Jorinde, da ich aus der Geburtsstadt der Gebrüder Grimm komme und meine Eltern kurz vor meiner Geburt festgestellt haben, dass „Jorinde & Joringel“ ihr Lieblingsmärchen war.
• Mein Großvater väterlicherseits war Oberbürgermeister der Stadt Hanau (1961 – 1972, SPD) und es gibt den Spruch über ihn „Keine Getöse ohne Dröse“.
• Aus der Tradition der SPD väterlicherseits und der FDP mütterlicherseits, sind meine Eltern ausgebrochen und waren politisch aktiv. Meine Mutter war engagiert in der Frauenbewegung und in der Kommunalpolitik. Meine Kindheit in den 80ern habe ich auf Ostermärschen, Openair-Konzerten und bei Theaterproben der Agitprop-Gruppe meiner Eltern verbracht.
• Ein Teil meiner Familie mütterlicherseits war jüdisch und ist konvertiert, ein anderer Teil war in der SA und Mitläufer im Naziregime. Alle Familienangehörigen väterlicher- und mütterlicherseits haben Fluchterfahrung und Spuren der Zeit bis zu ihrem Tod getragen und weitergegeben.
• Ich bin meiner Familie sehr verbunden und versuche den Spaß und die Liebe, die ich als Kind erfahren habe, weiterzugeben. Ich mache gern Quatsch und nerve zuweilen unsere Jungs und ernte dann ein „Bist du peinlich“.
• Ich bin seit 1987 Vegetarierin und seit 2010 Veganerin.
• Ich teile mein Zuhause mit dem liebsten, etwas übergewichtigen Kater namens Großer, der bestimmt eine Wiedergeburt eines zenbuddistischen Wesens ist, mit der hochenergetischen Border Collie-Hündin Holly, deren Hobby das Hüten unserer Katze Pepper ist und Pepper, einer grazilen schwarzen Katze, die aus dem Stand 1,50 m hochspringen kann.
• Ich habe mein Zuhause bisher mit 1 Meerschweinchen, 2 Wüstenspringmäusen, unzähligen Gubbies, 3 Hunden und 12 Katzen geteilt.
• Ich sehe Zahlen und Buchstaben in Farben.
• Ich bin in meiner Kindheit und Jugend Rollkunstlauf gelaufen, (also Rollschuh gefahren) mit Pflicht und Kür und so, bis ich in die Pubertät kam und mir die Röcke/Outfits zu kurz wurden.
von Markus Orths, für die Bühne bearbeitet von Jorinde Dröse und Juliane Koepp
RambaZamba Theater Berlin. Premiere 05. Mai 2023
Regie: Jorinde Dröse, Bühne & Zeichentrick: Peta Schickart, Kostüme & Maske: Leila Abdullah, Musik: Jörg Kleemann, Dramaturgie: Juliane Koepp
Mit: Christian Behrend, Lioba Breitsprecher, Selma Enoka Ayemba, Eva Fuchs, Sven Hakenes, Shirly Klengel, Franziska Kleinert, Tobias Kreßmann, Dirk Nadler, Joachim Neumann, Sascha Perthel, Rebecca Sickmüller
• Berlin und Hamburg, dem Meer, dem Wald
• Adele, Sia, The Strokes, Deichkind, Deine Freunde, Beginner
• den Graphic Novels von Liv Strömquist, Kazu Kibuishi, Walter Moers & Florian Biege
• dem Buch „This is water” von David Forster Wallace, „Die Wut die bleibt“ von Mareike Fallwickl, „Why we matter – das Ende der Unterdrückung“, „Das Ende der Ehe“ von Emilia Roig, „Wider die weibliche Verfügbarkeit – Die Erschöpfung der Frauen“ von Franziska Schutzbach, „Das Unwohlsein der modernen Mutter“ von Mareice Kaiser, „Wir sind doch alle längst gleich berechtigt“ von Alexandra Zykonov, „Die schlechteste Hausfreu der Welt“ von Jacinda Nandi, „Alle Zeit“ von Teresa Bücker
• dem Kinderbuch „Die Riesenbirne“ von Jacob Martin Strid, „Warren der 13.“ von Tania del Rio, „Billy Backe“ von Markus Orths, den Büchern von Thorben Kuhlmann
• dem Kommunikationstheoretikern Friedemann Schulz von Thun und Paul Watzlawick
• dem Familientherapeuten Jesper Juul, der Psychologin und Familientherapeutin Helle Jensen
• der Künstlerin Cindy Sherman, Diane Arbus, Line Hoven
• dem Künstler Andreas Tobias, Joachim Gern, Fischli und Weiss, Erwin Wurm
• der Dramaturgin Alexandra Althoff, Sibylle Baschung, Nicola Bramkamp, Sibylle Dudek, Juliane Koepp, Johanna Vater
• der Serie „This is us”, „Mare of Easttown”, „Broad Church”, „Die Brücke“, „Kommissarin Lund“, „The Affair“, „Life in pieces“, „Transparent“, „Togetherness”, “Die Gabe”, „Harlem”
• meiner Familie und den Tieren, die bei uns wohnen und wohnten